Wie kam es zur Idee des Films?
Im Frühling 2000 fing ich an, über ein Projekt über
das Leben auf dem Land nachzudenken. Ich begab mich auf Motivsuche und redete mit Landwirten, die kurz vor dem
Bankrott standen. Aber während meiner Recherchen, setzte sich langsam die Idee durch, einen Film über
eine Dorfschule zu machen, ohne dass ich genau wusste warum. Es stimmt schon, dass ich seit einiger Zeit Lust hatte,
etwas zum Thema Lesen lernen zu machen. Diese Idee lag brach, wie so viele Dinge in einem, die darauf warten, dass
sie eines Tages ein Zeichen geben ... Bei mir entsteht der Wunsch einen Film zu machen, oft durch eine Folge von
Zufällen. Manchmal ist es nur ein Ton, ein Gesicht, eine Situation, die zum Auslöser wird. Manchmal ist
es schon ein wenig mehr, aber sagen wir mal, es kommt nie durch eine abstrakte Erarbeitung, oder ein Buch oder
eine didaktische Absicht. Auch wenn meine Filme Dokumentarfilme sind, so versuche ich doch immer, Geschichten zu
erzählen, indem ich von den Orten ausgehe, in denen ich mich bewege. Ich denke, durch die narrative Form und
den Aufbau unterscheiden sich meine Filme nicht so sehr von der Fiktion.
Welche Kriterien sollte die Schule,
die Sie aufsuchten, erfüllen?
Viele Leute wissen es nicht, aber es gibt noch tausende Schulen
in Frankreich, die nur aus einer Klasse bestehen. Ich fing also zunächst an, die Region zu bestimmen, das
Zentralmassif, weil ich den Film in eine Region einbetten wollte mit mittleren Bergen, in denen das Klima schwierig
und der Winter hart wäre. Außerdem wollte ich eine Klasse finden, in der nicht mehr als 10-12 Kinder
waren, damit jedes Kind noch identifizierbar bliebe und eine ''Figur" im Film werden könnte. Ich wollte
auch, dass der Altersunterschied so groß wie möglich ist, von der Vorschule bis zur 5. Klasse. Das hat
mit dem gewissen Charme zu tun, den solche heterogenen, kleinen Gemeinschaften ausstrahlen. Wichtig war natürlich
auch die besondere Rolle des Lehrers und seine Arbeit. Und wo ich nun schon mal auf der Suche war, brauchte ich
auch eine Klasse mit viel Raum und Licht, weil ich auf keinen Fall künstliches Licht einsetzen wollte. Mir
war ebenfalls klar, dass es kein Nachteil wäre, Kinder zu haben, die über eine gewisse Ausstrahlung verfügen.
Natürlich war mir bewußt, dass vieles von der Wahl des Lehrers abhängen würde, aber ich war
da sehr offen. Es durfte ein Mann oder eine Frau sein, jung oder nicht jung, erfahren oder unerfahren ... Das hätte
sicherlich auch immer einen anderen Film ergeben, aber was diese Frage angeht, so setzte ich da keine Prioritäten.
Wie sind Sie vorgegangen, um
die Klasse zu finden?
Meine Recherchen dauerten fünf Monate. Am Anfang ging ich
sehr empirisch vor. Ich hatte einige Kontakte in der Region Lozère und dort fing ich an ... Es war schon
Mitte Juni. Mir blieb also nur wenig Zeit vor Beginn der Großen Ferien. Langsam aber sicher gelang es mir
doch, mehr und mehr Klassen zu besuchen, ich legte hunderte von Kilometern auf kleinen Straßen in den Cevennen
zurück. Ich wurde überall gut aufgenommen, aber keine der Klassen sagte mir wirklich zu: in einigen gab
es zu viele Kinder, in anderen nicht genug ... Jedenfalls kehrte ich Anfang Juli mit leeren Händen nach Paris
zurück, aber voller Energie, weil das Projekt gut aufgenommen wurde. Danach ging ich rationeller vor und erweiterte
mich auch geographisch. Ich stützte mich auf akademische Inspektionen in einigen Dutzend ''département".
Es war kompliziert. Ich musste auch Widerstände brechen in den Sekretariaten, die Hierarchien überwinden,
ein gewisses Mißtrauen besiegen. Hinzu kommt, dass die klassische Form der EinKlassenSchule als
überholt galt und neu definiert wurde. Heute gibt es eine ''pädagogische Aufteilung" alle Kinder
der Vorschule müssen in ein Dorf, die ersten und zweiten Klassen in ein zweites Dorf und die dritten, vierten
und fünften Klassen in ein drittes ... So um den 20. Oktober herum hatte ich 400 Schulen mit nur einer einzigen
Klasse ausfindig gemacht, davon 300 kontaktiert und etwa 100 besucht. Aber keine dieser Klassen war die richtige,
es gab immer etwas, was nicht ganz paßte ... An einem Ort wurde gerade eine Siedlung gebaut, die Arbeiten
fanden genau gegenüber der Schule statt. Woanders gab es eine Situation wie bei den Marx Brothers: der Raum
war winzig, die Kinder wie eingepfercht. Ich konnte mir nicht vorstellen dort mit einem, wenn auch reduziertem
Team (einem Kameramann, einer Kameraassistentin, einem Toningenieur und mir) zu drehen. Man hätte die Tische
aus der Klasse entfernen müssen, um genug Platz zum Drehen zu haben. In anderen Klassen war die Lehrerin schwanger
und würde im März in den Urlaub gehen. Dramaturgisch war es interessant mitten im Jahr und im Film mit
einer Vertreterin und neuen Figur konfrontiert zu werden. Aber die Schuladministration liess mich wissen, dass
es nicht sicher sei, wer die Vertretung übernehmen würde. Sollte ich das Risiko eingehen, auf jemanden
zu treffen, der sich vielleicht nicht filmen lassen wollte? Und dann kurz vor den Ferien zu Allerheiligen besuchte
ich diese Schule in diesem Dorf des PuydeDôme, mitten im Herz des Livradois Forez SaintÈtienne
sur Usson. Innerhalb einer Viertelstunde war ich mir sicher, gefunden zu haben, was ich suchte ...
Wieso erschien Ihnen diese Klasse
besser geeignet, als die andern?
Abgesehen von dem Umstand, dass diese Klasse meine Kriterien
erfüllte (nicht zu viele Schüler, ein großer Altersunterschied usw...), war ich sofort eingenommen
von der Persönlichkeit des Lehrers. Hinter seiner leicht autoritären Haltung entdeckte ich sofort eine
große Aufmerksamkeit für seine Schüler und einen sehr taktvollen und diskreten Menschen. Ich hatte
immer eine kleine DV Kamera dabei, die ich jedesmal heraus holte, wenn ich glaubte, auf einem guten Weg zu sein.
Als ich einige Aufnahmen seiner Klasse machte, verstand ich sehr schnell, dass es ihm nicht darum ging, sich von
seiner besten Seite zu zeigen und dass er nicht versuchte, eine Rolle zu spielen. Es gab bei ihm keine Form von
Demagogie oder Wichtigtuerei. Ich spürte, dass er sich mit seiner leicht traditionellen Art als eine starke
Persönlichkeit durchsetzte, ohne im Film zu altmodisch zu wirken. Und dann gab es natürlich diese Kinder,
mit ihren angespannten Gesichtern und dem Wunsch, vorwärts zu kommen, diese Gesichter die mal Unruhe, mal
Erleichterung ausdrückten, oft komisch, lachend, manchmal auch besorgt, verschlossen und nicht zu entschlüsseln.
War der Lehrer denn leicht zu
überzeugen?
Wie viele andere vor ihm, hat er sich zunächst gewundert, dass man zu diesem heiklen Thema einen Kinofilm
machen könne. Der Dokumentarfilm wird immer noch mit dem Fernsehen, Magazinen und der Reportage gleichgesetzt.
Ich habe meine Vorgehensweise dargelegt und präzisiert, dass diese jeder didaktischen Perspektive den Rücken
zukehrt. Mir ging es nicht darum, eine vorgefasste Meinung mit Bildern zu illustrieren. Auch ging es mir nicht
um den pittoresken, oder nostalgischen Aspekt (Ach die Landflucht! Ach diese Schulen, die langsam aussterben.).
Mein Wunsch war es, seiner Arbeit mit den Kindern so nah wie möglich zu kommen, zu verfolgen wie sich die
Kinder entwickeln, damit der Zuschauer ihre Erfolge aber auch Enttäuschungen miterlebt. Er selbst hat mir
immer wieder von seiner Klasse erzählt, seiner Verbundenheit mit dieser kleinen ''Truppe", der er nach
35 Jahren Erfahrung immer noch seine Arbeitsmethoden vermittelte. Dabei gab Georges Lopez zu, dass er sie selber
als etwas klassisch empfindet und schlug mir immer wieder vor, doch jemanden auszuwählen, der etwas moderner
sei. Ich versuchte ihn dann zu beruhigen, ihm klar zu machen, dass ich nun nicht mit der Lupe studieren würde,
wie er den Kindern das Bruchrechnen, oder das Präteritum beibringt. Natürlich würde er im Mittelpunkt
des Films stehen, der Dreh und Angelpunkt sein, immer unter Beobachtung der Kamera. Was man von ihm behalten
würde, wäre ein Gesamteindruck, die Umrisse einer Persönlichkeit. Es dauerte ein wenig aber langsam
fühlte er sich dann sicher. Im Alter von 55 Jahren blieben ihm noch 1 1/2 Jahre bis zur Rente. Das war für
ihn ja auch die Möglichkeit, durch diese filmische Erfahrung einen schönen Schlusspunkt zu setzen, bevor
er vielleicht noch mal etwas Anderes beginnen würde. Ich bot ihm an, einige Tage darüber nachzudenken.
48 Stunden später gab er mir sein Einverständnis.
Und wie reagierten die Eltern?
Sie waren sofort einverstanden, ein Grund war ihr Respekt und ihr Vertrauen zu diesem Lehrer, der seit 20 Jahren
unter ihnen lebt. Allerdings sagte ich ihnen sofort, dass ihre Kinder nicht alle die gleiche Präsenz im Film
haben würden, dass man sie nicht immer von ihrer besten Seite sehen würde, aber ohne das gäbe es
keinen Film, keine Geschichte. Ich sagte ihnen auch, dass beim Schnitt Stunden und Stunden verloren gingen, bestimmt
auch schöne Szenen, weil ein geschnittener Film ja kein ''Best of`" sein kann, sondern eine Konstruktion,
die ihren eigenen Gesetzen und denen des Regisseurs gehorcht. Um von vornherein alle Zweifel auszuschließen
machte ich den Eltern klar, meine Auswahl und mein Film würden sehr subjektiv werden. Was die Kinder anging,
weil wir ja auch deren Einverständnis brauchten, so erwähnte ich, sie wären bestimmt sehr stolz
in diesem Film aufzutreten, aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass sie immer verstünden, um was es
ginge.
Wenn man sich
den Film anschaut, hat man das Gefühl, dass die Kinder sehr schnell Ihre Anwesenheit vergessen ...
Am ersten Drehtag nahmen wir uns die Zeit, ihnen detailgenau zu erklären, wozu all unsere Gerätschaften
dienten: die Angel, das Tonaufnahmegerät. Das Stativ, die Objektive ... alles kam dran. Jeder durfte sein
Auge an den Sucher der Kamera halten, mit dem Zoom spielen, sich die Kopfhörer aufsetzen. Damit war ihre Neugier
teilweise er schöpft und ich erklärte ihnen die Spielregeln. Wir hatten ihnen gezeigt, wie wir
arbeiten würden und von nun an würde es wieder das Gegenteil sein. Der Lehrer hatte seine Klasse wieder
unter Kontrolle, die Kinder lernten und wir drehten. Innerhalb von drei Tagen gehörten wir zum Mobiliar. Natürlich
blieben wir vom ersten bis zum letzten Tag so diskret wie möglich, um nicht das Eigenleben in dieser Gruppe
zu bremsen. Und dennoch konnten wir uns nicht in Luft auflösen. Diese Idee war absurd. Wir waren ständig
zu viert in dieser Klasse. Im übrigen störte es mich nicht, dass ein Kind ab und zu mal in die Kamera
schaute. Ich passte allerdings sehr darauf auf, dass wir immer eine ''wohlwollende Neutralität" bewahrten.
Sonst wäre alles den Bach hinunter gegangen. Eines meiner Ziele war es ja, zu zeigen, wie es dem Lehrer gelänge,
gleichzeitig 13 Schüler unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Klassenstufen zu beschäftigen.
Es war ausgeschlossen, irgend jemandem in der Klasse zu helfen, auch wenn er um Hilfe bat. Es verbot sich auch
zu Lachen, wenn einer den Klassenclown spielte oder sich auf andere Spielchen der Schüler einzulassen. Das
war nicht immer leicht, aber jeder hat seine Rolle. Für jeden Film muss man die richtige Distanz finden. Was
sich auf dem Filmstreifen befindet, ist eine Reflexion dieser Einstellung. Natürlich, in den Pausen, wenn
wir nicht drehten, wurden wir zu Kumpeln. Aber sobald der Unterricht wieder losging und mit ihm die Dreharbeiten
war wieder Schluss mit lustig. Die Kinder haben diesen Unterschied sehr schnell verstanden.
Wie lange blieben Sie in der Klasse und auf welche
Schwierigkeiten sind Sie gestossen?
Die Dreharbeiten erstreckten sich über 10 Wochen verteilt
von Dezember 2000 bis Juni 2001 wir drehten 60 Stunden Material. Technisch war es kompliziert. Julien Cloquet war
der einzige Toningenieur. Sein Terrain war der gesamte Klassenraum. Man wusste ja nie im voraus, wer sich melden
würde. Auch was das Bild anging, gab es mehrere Probleme. Wir mussten ständig aufpassen, dass wir uns
nicht in den Fenstern und auf der Tafel spiegelten. Unsere Entscheidung, auf künstliches Licht zu verzichten,
bedeutete auch dass wir nur eine sehr geringe Tiefenschärfe hatten. Fehler waren nicht erlaubt. Aber es sind
solche Drehbedingungen, unter denen jeder das Beste gibt.
Ihr Film erweckt den Eindruck einer grossen Ruhe.
Fanden Sie Ihre Schule nicht manchmal zu idyllisch?
Es stimmt: dieser Lehrer, das Klima von Respekt, dass er in seiner
Klasse schafft, wirft ein schönes Bild auf seinen Beruf. Aber ich habe nicht versucht, daraus eine Art Modell
zu machen. Es ging nicht darum, dass sich jeder daran inspirieren müsse. Während meiner Vorbereitungen
zum Film traf ich auch ganz andere Lehrer. Jeder hatte seinen eigenen Stil, seine Methoden und kleinen Rezepte,
aber alle gaben mir das Gefühl, mit Leib und Seele ihren Beruf auszuüben. Idyllisch? Für mich ist
es ein sehr offener Film, der Raum für Interpretationen lässt, vor allem, was die eigenen Kindheitserinnerungen
angeht. Was mich angeht, ich sehe sogar etwas düsteres, eine latente Gewalt in dem Film, auch wenn sie unterdrückt
bleibt. Bevor ich diesen Film drehte, hatte ich wohl vergessen, wie schwer es ist, zu lernen und aufzuwachsen.
Dieses Eintauchen in das Schulleben zwang mich wieder, mich zu erinnern. Das ist wahrscheinlich das eigentliche
Thema des Films. |